Ab 1987 beteiligten sich auch einige Jugendliche, dreizehn bis vierzehn Jahre alt, mit Farbspray an diesem Aufschwung. So wuchs, an etlichen Orten, die Mauer zu einem Graffitidschungel heran. Die 1984 begonnene Arbeit von Noir und Bouchet wurde zur Normalität. Immer seltener wurden die Leute, die am Anfang die Künstler verhöhnten. Es hatte sich etwas verändert.

In der Tat nahmen ab Juli 1989, und besonders nach 9. November, die Malereien auf der Mauer sehr schnell zu. Dann aber kam es zum Mauerabbau, da jeder sein eigenes Stück haben wollte. Sehr schnell auch wurden die Löcher in der Mauer größer und größer, und letzten Endes so groß, daß Thierry Noir durchschlüpften und so die Mauer auf der Rückseite bemalen konnte. Malerei, die sich der Schnelligkeit bedurfte, bis endlich die Soldaten ihn bemerkten, und er schnellstens wieder auf der Westseite zurückflog.

Eigentlich war es komisch, mit der Nerven der ostdeutsche Soldaten zu spielen, jene Wächter, die seit langen Jahren ihren Druck auf die Mauermaler ausgeübt hatten.Keinerlei war es, es ging stete nur darum, ihnen zu zeigen daß, eine Epoche vorbei war. Der beste Platz dafür war hinter dem Reichstag. Die Löcher in der Mauer wurden dort riesig. Stundenlang, mit seiner schwarzen Spraydosen, trieb Thierry Noir sein Katz und Maus Spiel mit der DDR Grenzpolizei.

Endlich konnten er seinem seit vielen Jahre geformten Stil freien Lauf schenken. Dicke Köpfe malen, eine nach dem anderen, sehr schnell. Es handelte sich um eine Kilometermalerei, die es ihm erlaubte, in Rekordzeit bedeutende Flächen zu bemalen. Nun waren die Grepos auf der richtigen Seiten, um Thierry Noir Werk zu genießen.

Die letzten Mauerstücken verschwanden im August 1990. Thierry Noir, der seine Lehrlingsmalerei auf der Berliner Mauer begonnen hatte, war beim langsamen Verschwinden der Mauer von keinerlei Bedauern befallen. Der ständige Lärm der auf dem Beton schallenden Hämmern war wirklich unerträglich.

Die Stadt veränderte sich im Nu. Plötzlich war alles großer, besonders war mehr Lebensraum. Man entdeckte eine andere Stadt, in der noch alles zu bauen war. Nach dem Sturz der Mauer wurden die Malereien, von einem Tag auf der anderen, zu etwas Heiligem, von unschätzbarem Wert. Die Leute auf der Durchreise, die Berliner selbst, gar die ganze Welt, drängte danach, Berlin zu sehen, um ein kleines Stück der Mauer an sich zu nehmen. Bei jedem Wetter, ob Tag oder Nacht, hörte man die schallenden Hammerschläge auf dem Beton. Es war so etwas wie eine Kollektivhysterie, etwas wie eine moderne Jagd nach Gold.

So bauten ab Ende Januar 1990 die Soldaten Stück für Stück der Mauer ab, und zwar auf der ganzen Länge von der Waldemarstrasse in Kreuzberg. Komischerweise war dieses Stück der Mauer von der Touristen nicht abgebaut worden, denn auf diesem drei Meter langen Grundstück vor der Mauer -und welches zu Ostberlin gehörte- hausten junge Leute in Wohnwagen, alten Bussen und Bauwagen.

All die Leute, die ab 1982 aus den Westberlin besetzten Häuser ausgewiesen worden waren und welche dieses Mittel gefunden hatten, um weiter zu leben.

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