Christophe Bouchet

Ein französischer Künstler sieht Berlin

Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung am Checkpoint Charlie.
Sonntag, 18. Januar 1998

Christophe Bouchet hat als Maler seit 1980 in Berlin auffällige Spuren hinterlassen wie wenige andere Künstler: Seit seinem Umzug nach Berlin (West) war er von der Teilungsproblematik fasziniert und schockiert zugleich.

Mit seinem Malerfreund Thierry Noir zusammen ritt er ab April 1984 wütende Attacken gegen das monströse Bauwerk teils als Bemalung mit Pinsel, Roller und Fassadenfarbe, teils als Destruktion mit Preßlufthammer, teils als Applikation (kunsttechnisch formuliert) nämlich mit einer Montage eines echten Pissbeckens auf den "antifaschistischen Schutzwall".

Diese Gefängnismauerm z. B. am Mariannenplatz provozierten wie er selbst sagt ein körperliches Bedürfnis, etwas gegen die Mauer zu unternehmen. Die Farben sollten wie Säure Löcher in die Mauer bohren. Nun, die Historie hat allen Widerständlern innerhalb und außerhalb der DDR, Gott sei Dank, recht gegeben.

Daß Christophe Bouchet trotz seiner langjährigen und diplomierten Ausbildung in Paris als akademischer Maler nicht nur ästhetische Probleme lösen will, sondern kritisch und vital dem prallen Leben zugewandt ist, bemerkt man nach dem ersten Blick auf seine Werke und ebenso nach kurzer Bekanntschaft mit ihm selbst. Kritische Stellungnahme zu den Auswüchsen moderner Politik und den Blüten aktuellen Zeitgeschehens ist in seinen so harmonisch erscheinenden Werken immer mehr oder weniger offen vorhanden.

Mag sein, daß er aus seiner persönlichen Lebenserfahrung als Hörbehinderter heraus eine besondere Sensibilität für Ungerechtigkeiten gegenüber Minderheiten entwickelt hat. Was er schließlich schildert, sind uns alle betreffende Kuriosa der Macht gegenüber den Ohnmächtigen, speziell in Berlin auch als Dauersatire die "Bürokratie", ein vielleicht typisch deutsches Phänomen, das er in einem so gar nicht anmutigen, vielmehr absurd häßlichen Porträt charakterisiert. Das traditionsbeladene "J'accuse" seiner gemalten Mauertiraden ist nun inzwischen auf neue Themen fokussiert.

Die Versatzstücke seiner Werke wie Fisch, Katze, Ratte, Mond, Herz usw. sind ein Alphabet, das sich zu immer neuen Aussagen zusammenfindet. Im Triptychon "Liberté Egalité Fraternité" benutzt er das Konglomerat aus fast stereotypen Mädchengesichtern und seinen vielfachen Chiffren zum humorvollen Historienbild.

Bei aller scheinbaren Einfachheit der Bildersprache ist nicht selten eine große Raffinesse der Kompositionen zu erkennen ob nun die Haare bei "Fraternité", dem Bild zur deutschen Wiedervereinigung, in schwarz-rot-goldenen Strähnen leuchten, und die beiden Gesichter jeweils Teil des anderen Gesichtes bilden, jeder Befürworter der Wiedervereinigung sollte sich verpflichtet fühlen, das entsprechende T-Shirt zu erwerben ob die Sex und geldbeladene Waage der blinden und doch sehenden verführerisch gewandeten"Egalité" deren Schoß durchbohrt , ob die "Liberté" (natürlich der französischen Tradition eines Gericault und Delacroix nachempfunden) mit Fackel und Europaflagge nackt über Böller und Molotov-Cocktail thront die witzigen Satiren verbergen hinter dem Anschein der harmonischen Comic-Bildchen immer neue Abgründe .

Wenn Bouchet sich mit seinem Bild "wir sind das Volk" in entfernte Konkurrenz begibt zu einem Berliner Historienmaler, der nach eigener Aussage nur CDU Leute auf dem dokumentarischen Historienbild zeigt, weil er nur CDU-Leute kennt, dann ist bei Christophe Bouchet unter komischem Fernsehturm und lächerlicher Siegessäule Lenin und Ulbricht versteckt, natürlich umgeben von mehr oder weniger nackten Brüsten.

Überhaupt ist Christophe Bouchet dem prallen Leben durchaus zugewandt. Ich möchte ihn gerne als modernen "Faun" bezeichnen, einen Faun, der das Weibliche in vielen Formen zelebriert und verehrt: Pralle Schenkel, lockende Münder, wogende Busen.

Bouchet hat aber auch auf seiner Gratwanderung zwischen modernen Comic-Ikonen und humorvoller Genremalerei immer die Erfahrung eines perfekten Porträtisten parat, der mit scharfem Blick das Wesentliche des Gegenübers erfaßt. Toulouse-Lautrec darin nicht unähnlich, muß er ständig eine Serviette, einen Papierfetzen, einen Pappkarton für eine schnelle Porträtskizze verwenden. Die Souveränität seines Striches kommt besonders natürlich im nicht korrigierbaren Aquarell zum Tragen als Meister des lockeren Pinsel Duktus könnte er durchaus seinen Lebensunterhalt als Straßenmaler verdienen, was er mal am Kurfürstendamm auch probiert hat. Seine Benefiz-Gastspiele zusammen mit Thierry Noir sind berühmt und begehrt, und beide sind spontan und liebenswürdig genug, auch honorarfrei Freude zu bereiten.

Inzwischen allerdings ist Christophe Bouchet so richtig etabliert: Ein Atelier in Düsseldorf, ein Atelier in Berlin, ein Atelier in Frankreich mitsamt Mäzen machen ihn zu einem Globetrotter der Kunst, wobei man ihn ruhig um sein Atelier mit Wohnsitz im Loiretal beneiden darf.

Im berühmten Chenonceaux, einem kleinen Ort mit berühmten Schloß, das mal den berühmten Aufklärer Rousseau beherbergte, hat er den stillgelegten Bahnhof gekauft und in ein Gesamtkunstwerk verwandelt.

Der Kritiker Christophe Bouchet, der Faun Christophe Bouchet, und der Genießer Christophe Bouchet sind die 3 Komponisten einer modernen Historienmalerei der kritischen Vernunft verpflichtet, der zeitgemäß simplifizierten Bildersprache und der Freude am epikureischen Leben.

In diesem Sinne sollten wir uns alle von seiner Lebenslust anstecken lassen.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Preise auf dieser Ausstellung nicht annähernd die offiziellen Verkaufspreise sind. Christophe Bouchet unterstützt seit langem das Museum Haus am Checkpoint Charlie und dessen menschenrechtliches Anliegen. Auch jetzt wieder ist ein großer Teil des Erlöses als Spende der wichtigen Museumserweiterung zugedacht.

In diesem Sinne sollten wir uns alle von seiner Spendenfreude anstecken lassen.

Peter.H.Schiller. Kustos. Museum am Checkpoint Charlie.