Thierry Noir, der Mauermaler.

von Bernhard Van Treeck

Wenn von Graffitis auf der Berliner Mauer die Rede ist, fällt ein Name mit Sicherheit immer: Thierry Noir. Mit seinen rundlichen glibschäugigen Köpfen, meist gemalt in ungebrochenen klaren Farben, prägte er das Bild der Mauer auf der Westseite wie kein zweiter.

Kaum einer hat seit Mitte der Achtziger Jahre das Bauwerk so konsequent und so kontinuierlich genutzt wie er. Und von alldenen, die je auf Mauer gemalt haben, ist Noir sicher einer der interessantesten Künstler. Seine graphisch-reduzierten Köpfe bestechen durch ihre Klarheit und sind in ihrer Liebenswürdigkeit den meisten Betrachter schnell zugänglich. Ihre Farbigkeit zeugt von einer Lebensfreude, die in Berlin - und gerade an der Mauer - sehr ungewohnt und erfrischend ist. Noir, der 1958 in Lyon geboren wurde, siedelte 1982 nach Berlin um. Angelockt wurde er durch den in Berlin lebenden Musiker David Bowie, Lou Reed und Iggy Pop. Die Berliner Subkultur befand sich auf damals ihrem Höhepunkt. Umschlossen durch die Mauer und subventioniert durch Gelder aus dem Westen war eine eigenartig-surreale Situation entstanden, deren Reiz viele Künstler mit Hang zum Morbiden anzog.

Die Mauer war zwar schon lange Zeit immer wieder bemalt worden, doch es überwogen Graffitis ohne künstlerischen Anspruch. Im April 1984 begann Noir - zusammen mit Christophe Bouchet - mit der Bemalung der Berliner Mauer.

Sie sollte der Untergrund werden, der sein Werk für Jahre hin prägen würde. Anfangs war die Bemalung nicht ohne Risiko: "Mit einem Auge mußte man malen, mit dem anderen ständig aufpassen. Einmal z.B., im Mai 1984, sprangen vier maschinengewehrbewaffnete Vopos über die Mauer, um uns zu fassen", so Noir. Doch auch die Kreuzberger Bürger waren damals noch oft gegen die illegale Kunst und übertünchten die Mauerbilder, was Thierry Noir oft zu Restaurierungsmaßnahmen zwang.

Trotzdem oder gerade deshalb malte Noir weiter. Seine Mauerbilder wurden im Laufe der Jahre immer großformatiger und fanden zunehmend Resonanz In der internationalen Kunstszene. Anfangs malte nur einen Kopf pro Segment. Später, z.B. 1990 an der East-Side-Gallery, vergrößerte er das Format, damit die Köpfe auch von den zum Teil schnell vorbeifahrenden Autos erkannt werden können. Obwohl die East-Side-Gallery unter Denkmalschutz steht, muß er auch hier sein Werk immer wieder restaurieren (1993, 1996 und 1998).

Typisch für Noir sind bunte Köpfe im Profil, piktogrammartig reduziert mit hervorstehender Nase, schwellenden Lippen, Kulleraugen und rundem Schädel. "Es ist die Poesie des Augenblicks, die Poetik der Sekunde, die Ironie des Momentanen, um die es mir geht", so Noir 1996. Der Stil von Noir und Bouchet wurde prägend für die Mauergraffiti. Ihre Bilder fehlen in keiner der zahlreichen Mauerpublikationen.

Obwohl die Figuren gefällig wirken, geht es ihm nicht um Dekoration: "Ich wollte nie versuchen, die Mauer zu verschönern, weil das faktisch unmöglich ist. 80 Personen sind bei dem Versuch, die Mauer in Richtung Westberlin zu überwinden, getötet worden, so daß man die Mauer mit hundert Kilo Farbe überziehen kann und sie bleibt doch die selbe.

Ein blutiges Monster, ein altes Krokodil, das von Zeit zu Zeit erwacht, um jemanden zu fressen, um dann wieder in Schlaf zu verfallen.

Thierry Noir wurde zum Synonym für Mauerkunst. Und er schaffte es gemeinsam mit Kiddy Citny - sogar schließlich, Geld für seine illegale Kunst zu bekommen. Als nach dem Mauerfall Mauersegmente mit Bildern von Thierry Noir und Kiddy Citny ohne deren Zustimmung für 1,5 Millionen Mark verkauft wurden, klagten die beiden. In erster Instanz gewannen sie, sie verloren in zweiter Instanz, bis Ihnen schließlich der Bundesgerichtshof in dritter Instanz das Recht zusprach, einen Teil des Gewinns für sich zu beanspruchen.

Thierry Noirs Arbeiten gefallen nicht nur dem Normalbürger. Auch arrivierte Filmemacher und Musiker suchen seine Nähe. 1987 bemalte Noir ein Stück Mauerkulisse für den Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin"; 1991 wiederholte er diese Aktion an gleicher Stelle. Für die Gruppe U2 bemalte Thierry Noir 1990 sechs Trabants, die als Cover für die U2-Single "The fly" dienten.

Thierry Noir ist heute einer der wichtigsten Street-Art-Künstler Berlins, wovon zahlreiche Außenraumarbeiten Zeugnis anlegen. Im Moment arbeitet er vermehrt mit Siebdrucken und Skulpturen, die er in seiner eigenen Galerie in der Nollendorfstraße 10, in Berlin-Schöneberg, verkauft.